retroquer

oder

Heute wirds EDdig

Retrograd
‘rückläufig’, ‘gegenläufig’, ‘zeitlich oder örtlich zurückliegend’
aus dem lateinischen: retro - zurück, rückwärts und gradus - Schritt

 

Hiermit sollte eurem Hirn etwas Wissen vermittelt worden sein und Evil-ED seinen Bilungsauftrag erfüllt haben, denn was jetzt folgt ist ein hochgradig hirnzellenzersetzender Stumpfsinn, der sich pandemieartig auf DVD- und (Gott bewahre, aber es dürfte schon zu spät sein) Blu Ray-Scheiben ausbreitet und über die Wühlkisten weltweiter Trödelläden übertragen wird.

retroposterDie Science Fiction bot uns eine Vielzahl von Meisterwerken, angefangen bei Mary Shelleys „Frankenstein oder der moderne Prometheus“ über H.G. Wells’ „Zeitmaschine“ bis hin zu Metropolis, Blade Runner und Matrix.

„Retrograde“, der in Deutschland als „Time Travelers“ verramscht... äh... vermarktet wird (wie ich es liebe, wenn englische Titel durch andere englische Titel ersetzt werden), schaffte es dieses Jahr auch in meine Sammlung. Eine Box mit vier schlechten Science Fiction-Schinken, deren Cover imposanter als der Inhalt ist und die sich super macht neben meiner Dinosaurier-DVD-Collection aus der selben Müllhalde... äh... Wühlkiste, die ich mir wegen (einer leider nachvertonten) Version von „Die verlorene Welt“ von 1925 gekauft hatte und neben drei wirklich billigen Dinosaurierdokus aus den 90ern noch Trashperlen wie „Jurassic Shark“ und „100 Million BC“ enthält.

Also schaltete ich während meines Nachtdiensts mal das Licht aus, den DVD Player und „Retrograde“ ein, das Hirn aus und ließ mich berieseln, damit ich wenigstens einen Obolus als Stundenlohn verdiene, während ich mir diesen Schund anschaue (es ist ja nicht so, als könne ich nicht irgendwelche anderen Filme mit auf die Arbeit nehmen...)

Soviel sei schon mal gesagt: Die Hauptrolle spielt Dolph Lundgren und 2004, als der Film erschien, gab es noch keinen Expendables. Zwar hat er auch nach oder neben der bisherigen Expendables-Trilogie nicht mehr in wirklich großartigen Filmen mitgewirkt (man nehme das Bollwerk „Dungeon Siege 2“ oder sogar das Direct-to-DVD-Sequel zum „Kindergarten Cop“) und außerdem war Lundgren bis zu Stallones erfolgreicher Altherrenrunde wohl eher selten die erste Wahl für namhafte und nennenswerte Produktionen.

retro wall of gunsEr hatte seine Hoch-Zeit in der „Videotheken-Ära“ - damals, als in den VHS-Regalen im Wechsel Steven Seagal, Jean-Claude van Damme und Dolph Lundgren auf den Hüllen im Wechsel vor Explosionen posierten und Teenager mit T-1000-Gedenkfrisur in Buffalo-Schuhen und Champions-Trainingshose darüber diskutierten, wer von den Mimen nun der Beste und Härteste ist (seit es das Internet gibt, haben sich diese Diskussionen auf das WWW verlagert... da braucht man nämlich keine Hose für, erst recht keine hässliche Schnellfickerhose).

Meine Filme zu sortieren habe ich schon lange aufgegeben. Allerhöchstens habe ich einige Buchreihen wie „Der dunkle Turm“ von Stephen King oder meine Sammlung an Geschichten von Edgar Alan Poe oder J.R.R. Tolkiens „Der Herr der Ringe“ nebeneinander im Regal. Okay, Bands wie Motörhead, Metallica, Iron Maiden und die Ramones stehen auch zsammen in den CD-Racks - allerdings nicht chronologisch nach Release (das wäre auch kompliziert. Zwar erschien zum Beispiel Motörheads „On Parole“ erst nach „Ace of Spades“, wurde aber vorher aufgenommen). Es kann also vorkommen, dass man zwischen hochwertigen Filmen wie „Der Pate“ und „Blues Brothers“ plötzlich „Der Horror-Alligator“[1] oder „The 25h Reich“ in den Händen hält. Gäste, die manchmal zu Besuch kommen und sich in meinen Bücher-, Comic-, CD- und Filmsammlungen umschauen, reagieren des Öfteren mit „WIE KANNST DU DIESEN SCHEISS NEBEN SOLCH EINEM MEISTERWERK STEHEN HABEN?“ oder schlichtweg mit einem „Warum zum Teufel besitzt du diesen Scheiß?“. Die Antwort lautet stets, dass ich es selber nicht weiß - das ist mir lieber, als mich in Rechtfertigungen zu verheddern, die ohnehin keine sind.

Nichts rechtfertigt den Besitz von „Retrograde“.

retromodeAuch nicht meine obenstehende Erklärung. Und das kommt von jemandem, der stets stolz auf seine Sharknado-Collection verweist und der jenes Franchise mehr liebt als alle Blockbuster der letzten Jahre zusammen - das ist leicht gesagt, denn so wirklich gibt es ja keine Blockbuster mehr. Klar ist mal ein Kinosaal voll, aber dass Leute wie 1999 beim Release von „Star Wars - Episode 1: Die dunkle Bedrohung“ wirklich ganze Häuserblöcke entlang Schlange stehen, kommt wohl nicht mehr vor. Dafür ist sind Streaming-Angebote wie Netflix, Amazon Prime und Co bequemer. Zudem ist das eigene Wohnzimmer dank bezahlbarer 4K-und 7.1-Technik ohnehin um Einiges bequemer als das Kino und auf lange Sicht wohl auch günstiger.

Ins Kino geht man heutzutage ohnehin nur noch selten. Man „imagined in IMAX“ und lässt sich von allen Seiten dolby-atmosphären und kann dank supergeilem 3D sogar Scheiße wie „Jurassic World - The fallen Kingdom“ über sich ergehen lassen und hat wenigstens eine abenteuerliche Achterbahnfahrt mit überteuertem Popcorn und Cola haben.

Dank Smartphones und Tablets als Mitnehmkinos wird sogar die Badewanne oder das eigene Scheißhaus zum Kinosaal und zeitlich ist man auch unabhängig von Airtime, Verkehrsmitteln und dem damit verbundenen Stress.

Wisst ihr, als in den 1990ern „Star Trek - Das nächste Jahrhundert“, „Deep Space Nine“ und „Voyager“ liefen, waren diese Tablets, Interfaces und Flachbildschirme noch Zukunftsmusik. Heute kann man dem als Neuzuschauer wohl kaum etwas abgewinnen, wirkt die Futuristik von damals nach heutigen Standards einfach steinzeitlich. So wie ein Nokia 5210 schon futuristischer war als der Communicator aus der Originalserie - denn auf dem konnte man nicht Snake oder gar Snake 2 spielen.

retro demolition carSelbst Kultstreifen wie „Demolition Man“ zeigen einen Futurismus, der längst überholt wurde. Die gezeigten Autos könnten dem wechselhaft wahnsinnigen bis genialem Gehirn eines bekifften Elon Musk entstammen und die Videoqualität bei den Kommunikationskonferenzen im Film könnten im Vergleich zu Multimessengern und Apps keinen Blumentopf mehr gewinnen. Dafür haben wir mit §131 und dem Netzdurchsetzungsgesetz zumindest ein verbales Moralitätsstatut für unsere eigene OASIS bekommen.

Die OASIS, das ist auch so ein Thema.

Als Ernest Cline 2011 den Roman „Ready Player One“ auf den Markt brachte, waren die OASIS-Brillen und die dazugehörigen Handschuhe noch ein Fantasieprodukt. Zu den Dreharbeiten nur wenige Jahre später nutzte Spielberg genau diese Technik, um seine Schauspieler in einer grob vorgerenderten Version der virtuellen Welt agieren zu lassen und mit Oculus Rift oder PlayStation-VR nimmt auch diese Vorstellung mehr und mehr Realität an - das Soziologische und Psychologische, welches mit der Flucht der Menschen in eine digitale Scheinwelt zusammenhängt, ist ja bereits langläufig bekannt und hinlänglich wissenschaftlich durchgekaut, ausgespuckt und wiedergekäut worden.

retrodolph03Mittlerweile entwickeln sich sogar in dem vormals gefloppten und mittlerweile sehr gefeierten Sandbox-Game „No Man’s Sky“ entgegen der Vorstellung seiner Programmierer im Multiplayermodus einzelne Weltraum-Allianzen samt Imperatoren, Söldnern, Spionen, Piraten und Polizeistreifen in klar abgegrenzten Arealen. Foren und Discords dienen als Kommunikationsplattform und wichtige Inforationen werden fast besser geschützt als das Gold in der Federal Reserved Bank, Area 51 und dem Bernsteinzimmer unter Uli Höhnes’ Weinkeller im Schloss Neuschwanstein zusammen.

Das berühmte Schloss Neuschwanstein ist übrigens nicht nur Schauplatz der „Sissi“-Reihe mit Romi Schneider und Karl-Heinz Böhm, sondern stand auch Pate für das berühmte Disney-Schloss, über dem Tinkerbell bei jedem Intro ihren Zauberstab schwingt.

retro BTTF fashionAuch die Zukunft aus „Zurück in die Zukunft 2“ hat sich ein Stück weit bewahrheitet. Klar, 2015 hatte keiner die Hosentaschen nach außen gekrempelt (außer ein paar wenige Nerds... wie ich... aber auch nur am 21. Oktober von 16:29 Uhr bis 19:28 Uhr), Autos flogen nicht und Jacken trockneten sich nicht serienmäßig von selbst. Jedoch gab es viel Technikschrott, den eigentlich niemand braucht (3/4 der Funktionen eines Smartphones als Beispiel) und jede Menge bescheueter Klamotten anderer Art... und heute, im Jahr 2018, ist Biff Tannen Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika.

Die Franchisekriege aus „Demolition Man“ blieben auch nicht aus - um die Kurve nochmal zurück zu nehmen und etwas retrograd auf diesen Artikel aus bisherigen Informationen einzugehen. Zwar ist es nicht „Pizza Hut“ (oder wie in der US-Version „Taco Bell“), welche die Franchises verschlingt, sondern oben genanntes Disney-Unternehmen. Marvel und „Star Wars“ waren erst der Anfang. Lego hat sich in den 1990ern auch nicht einfach nur mit „Star Wars“ zufrieden gegeben, heute macht das Unternehmen seinen Hauptumsatz mit der Vermarktung von Lizensprodukten und bietet nebenbei auch noch Filme, Serien, Kinohits und Videospiele an. Eine Entwicklung, die vor 15 Jahren noch undenkbar war.

Retro ETDa kann man bloß hoffen, dass nicht irgendwer den Karren für Jahre unwiederbringlich in den Dreck fährt, wie einst ATARI es mit dem Videospiel zu „E.T. - The Extra-Terrestrial“ machte. Damals brach der Videospielemarkt zusammen und tausende Kopien wurden in der Wüste von New Mexico verscharrt (eine sehr sehenswerte Doku von Drehbuchautor Zac Penn zeigt die Ausgrabungen jener Cartridges und löst das Mysterium gleichermaßen auf). Irgendwann ist ein Markt immer übersättigt und aus einer hohen Gewinnmaxime wird sehr schnell ein Ruin - vor allem, wenn Ak-tionäre involviert sind.

Man möge es sich vorstellen: „Disney fällt wie die Lehman-Brothers es 2008 taten“.

Da ist es vieleicht klug, billige Ware zu produzieren, welche die Ausgaben schnell einnimmt und saisonal etwas Gewinn abwirft sowie in der Drittverwertung noch ein wenig die Portokasse füllt. „The Asylum“ haben daraus sogar einen autarken Markt für Filmschaffende entwickelt, von dem Ed Wood oder sogar Lloyd Kaufman träumen können. Das hängt wohl mit der richtigen Idee am richtigen Ort zur richtigen Zeit zusammen. „Sharknado“, Asylums bisheriges und nun vollendetes Zugpferd, entstand schließlich lediglich aus einem Dialog in einem der vielen „Leprechaun“-Ableger. Und immerhin, es ist ein kleines Stück Filmgeschichte entstanden.

retronichelleSchließlich wird wegen des immer schlechter werdenden Gesundheitszustands von Nichelle Nichols, welche nun nach ihren überstandenen Schlaganfällen an Demenz leidet wohl „Sharknado 5“ihr letzter Film in einer über fünfzig Jahre andauernden Karriere sein. Da hat es sie meiner Meinung nach aber besser getroffen als Leonard Nimoy, der seine Stimme für Michael Bays „Trans-formers“-Explo(it)sions-Aufguss hergab, bevor er uns für immer verließ.

Aber nicht jeder Mensch scheint noch „etwas Großes“ machen zu wollen, bevor er uns verlässt. Es sind nach wie vor Jobs, die bezahlt werden und manchmal sorgen auch Krankenversicherungsgründe dafür, dass man Rollen annimmt. So kam auch Ian Ziering an die Rolle des „Fin Shepard“ in „Sharknado“. Seine Filmpartnerin Tara Reid durfte ja zu-vor schon zu Genüge abseits von Hollywood herumtümpeln, zum Beispiel im kläglich gescheiterten Bollwerk „Alone in the dark“, dessen Audiokommentar sich alleine wegen Bolls Schimpftiraden auf Tara Reid sehr lohnen - sonst lohnt sich ja immerhin gar nichts bei diesem Film[2].

retrodolph01Wie man merkt, ist diese Einleitung ewas aus dem Ruder geraten, doch retrogradiv kommen manche Themen doch auf einem Ursprung zurück, verknüpfen sich mit anderen Themen und bilden so ein Netzwerk aus Unterhaltung und Information. Eine tiefe Metaebene, welche erneut zum Bildungsaftrag dieses Fanzines gehört - und das ohne 17.50 Euro pro Monat bezahlen zu müssen.

Ob Dolph Lundgren seine Rolle in „Retrograde“ aus Krankenversicherungsgründen annahm oder ob die Macher ihn aus anderen Gründen casteten, ist mir nicht bekannt. Ich habe es auch nicht recherchiert. Ich habe diesen Wortschwall formuliert, um mich davon abzulenken, wie grottenschlecht dieser Film ist.

Nichts rechtfertigt den Besitz dieser Filmgurke und schon drei mal nichts rechtfertigt es, ihn zu sehen. Dann wird das Quantum an Nichts, das eine ausführliche Filmbesprechung rechtfertigen würde also definitiv unmessbar sein.

Glaubt mir, mit dem Lesen dieses Artikels vollgestopft mit Trivias, Hypothesen und Szenarien habt ihr weniger eure Lebenszeit vergeudet, als hättet ihr wirklich eine Review zu „Retrograde“ gelesen. Oder - noch schlimmer - diesen Film sogar gesehen.

Eine wirkliche Review dieses Films überlasse ich den Medienhuren, Oliver Kalkofe, dem Deadline-Magazin, BeHaind, dem Team von Holger Kreymeier, dem Drachenlord oder sonst wem, der dafür vermutlich besser bezahlt werden würde als ich. Selbst dem Walulis und seinen siebzehneurofuffzich Videos.

 

Mario

[1] Hey hallo? Der ist großartig. (der nervende Dia)

[2] Ebenso interessant, dass Boll im Laufe dieses Audiokommentars auch noch mit einem Schauspieler telefoniert und zwischenzeitlich unterbricht, weil er mit dem Hund raus muss. (Dia - again)


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