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Otherland (2011)
Ein Hörspiel nach Tad Williams

 

Die dispotische Buchreihe „Otherland“ von Tad Williams, die sich wie „Neuromancer“ von William Gibson oder „Snow Crash“ von Neal Stephenson dem Thema der virtuellen Realität widmet, ist mit über 3500 Seiten die wohl mit Abstand umfassendste Abhandlung in diesem Kanon. Ein leidiger Grund, der wohl viele potentielle Leser (unter anderem auch mich) schon von der Lektüre abgehalten hat. Selbst als Hörbuch wäre das noch eine ganze Menge Zeit die es zu opfern gäbe. Aber zum Glück gibt es auch ein kongeniales Hörspiel von Walter Adler über das ich heute berichten möchte.

In einer mehr oder weniger fernen Zukunft ist das virtuelle Leben dank Krieg und Umweltzerstörung zum Alltag für jedermann und jederfrau geworden. Aber es gibt da noch ein wesentlich weiter entwickeltes Netz, das Otherland, welches nur einem ausgewählten Kreis der absoluten Oberschicht zugänglich ist. Dieses Otherland ist ein Zusammenschluss von unabhängigen virtuellen Welten, die allesamt über einen Fluss verbunden sind. Diese Welten bedienen sämtliche Sinne und bieten dem Besucher vollkommen realistische Erlebnisse. Die Realität geht dabei so weit, dass Verletzungen oder Todesfälle explizit nicht ausgeschlossen sind. Der Fantasie sind bei der Gestaltung keinerlei Grenzen gesetzt, so dass neben wissenschaftlichen Forschungswelten auch Abbilder von Comic-, Insekten-, Märchen-, Eis- oder absurden Albtraumwelten vorhanden sind.

Hinter diesem Netz stecken natürlich viele Geheimnisse und so kommt es, dass eine anfangs irritierend große Menge an Charakteren auf unterschiedlichste Weise mit diesem Netz in Berührung kommt und sich auf einmal dort eingesperrt wiederfindet. Gefangen in Welten in denen die bekannten Naturgesetze keine verlässliche Größe bieten, müssen sie nun einerseits überleben und andererseits zur eigenen Rettung hinter das Geheimnis von Otherland kommen. Zum Glück finden sich Verbündete und langsam wird immer klarer, warum ausgerechnet diese Figuren in diesem Schlamassel landeten. Die echte Welt draußen dreht sich natürlich zwischenzeitlich weiter und es entbrennt ein vieldimensionaler und von unterschiedlichsten Interessen geleiteter Kampf ums Otherland.

thadDie Geschichte an sich ist wirklich großartig. Tad Williams hat hier nicht nur eine faszinierende Welt geschaffen, sondern diese auch noch mit fantastischen Figuren gefüllt. Die tief charakterisierten Protagonisten führen keinen banalen Kampf gegen das Böse, sondern ihnen stehen ebenso vielschichtige tragische Figuren gegenüber, welche letztendlich ihre Rolle nur logisch weiterführen. Gewissermaßen eine Banalität des Bösen, wie sie Hannah Arendt nicht besser hätte beschreiben können. Die dadurch aufbrechenden moralischen Abgründe reißen dem Rezipienten dabei so manches Stück aus seiner Seele. Hat einen aber erst einmal der Sog der Geschichte gepackt, so gibt es kein Zurück mehr.

Für das Hörspiel wurde zwar erwartungsgemäß die Handlung etwas gekürzt, aber mit über 22 Stunden Laufzeit ist es immer noch eine ganz schöne Bank. Aber das macht nichts, denn die Faszination dieses Hörspiels lässt einen irgendwann jede freie Minute nutzen, nur um die Geschichte weiter zu hören.

other produktionDie Inszenierung lässt sich dabei einfach nur als herausragend beschreiben, denn der betriebene Aufwand ist gigantisch. 220 Sprecher sind involviert! Allein zwölf Erzähler sorgen dafür, die unterschiedlichen Plots auch unterscheiden zu können. Jede Welt wurde akustisch individuell gestaltet und wie bei einem Spielfilm unterstützen teils brachiale Klangeffekte die Dramaturgie.

Das Stück ist daher auch zum Einschlafen denkbar ungeeignet, denn diese Effekte lassen einen immer wieder aus dem Schlummer aufschrecken. Zwischendrin immer wieder eingestreute Newsfeeds, deren absurd-zynischen Meldungen den Hörer immer wieder die Haare zu Berge stehen lassen, halten die Untergangsstimmung hoch.

Die Komplexität der Geschichte ist definitiv nicht ohne und vor allem anfangs hat man schnell das eine oder andere Fragezeichen vor den Ohren. Aber irgendwann ist man drin und auf geniale Weise laufen die Fäden am Ende wunderschön zusammen. Und spätestens beim erneuten Hören freut man sich über diese Komplexität, denn so finden sich immer wieder neue bzw. längst vergessene Aspekte der Geschichte. Dieses Hörspiel ist daher wahrhaftig eine langfristig nutzbare Investition.

Otherland bietet eine starke Story, skurrile Figuren und eine geradezu berauschende Atmosphäre.Walter Adler hat mit seinem Hörspiel ein absolutes Meisterwerk geschaffen und jeder Fan phantastischer Welten sollte es sich einmal anhören. Es lohnt sich!

Sören Ney

 

Eine kleine - aber feine - Hörprobe findet ihr hier

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