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Porno Venezia

(Deutschland 2003)

Regie/Drehbuch: Andreas Bethmann

Darsteller (?): , , ,
und diverse Pornomädels und -jungs

 

 

„Gewaltpornographie“ ist ja eines jener Wörter, das häufig im Zusammenhang mit Splatterfilmen bemüht wird. Insbesondere von jenen, die mit exzessiver Gewaltdarstellung so ihre Problemchen haben und darum eine griffige Vokabel zum Ausdruck ihrer Abscheu benötigen.

rosso venezia 003Verwendet man den Begriff einmal etwas wertneutraler, bedeutet Pornographie letztlich nur das Zeigen eines Vorgangs um seiner selbst Willen, ohne künstlerische oder sonstwie gesellschaftsrelevanten Hintergedanken. Wenn man beispielsweise mich beim Kaffeetrinken filmen würde, um mich einfach nur bei dieser Tätigkeit zu zeigen und damit weder eine Dokumentation noch etwas potentiell Subtexttaugliches damit im Sinne hätte, wäre das also gewissermaßen ein Porno ganz ohne dass herumgefickt wird. Wird hingegen Gewalt gezeigt, die in den meisten Horrorfilmen mehr oder minder explizit als sexuelle Ersatzhandlung funktioniert (einfach weil die meisten Horrorfilme in ihrem Kern eigentlich Sexfilme sind), entspricht sie absurderweise gerade nicht der obigen Definition – das Gezeigte bedeutet nämlich etwas ganz anderes und erhält dadurch einen tieferen Sinn – erhitzt aber für gewöhnlich die Gemüter weitaus stärker als der kaffeeschlürfende Herr Jäger. (Anmerkung: Kaffee war bei der Sichtung von „Rossa Venezia“ bitter nötig und diese komplexe Einleitung dürfte verdeutlichen, wie verkopft man an den Film herangehen muss um ihm etwas abzugewinnen).

rosso venezia 001Das Problem mit der „Gewaltpornographie“ ist damit also gerade nicht die mangelnde Mehrdeutigkeit, sondern die Interpretierbarkeit der dargestellten Handlungen als Ausdruck einer fehlgeleiteten Erotik. Doch obwohl Sex, Gewalt und Tod im Horrorgenre so unauflösbar miteinander verschlungen sind, und obwohl zahlreiche Splatter-Pioniere wie Hershell Gordon Lewis einschlägige Erfahrung mit Erotikfilmen hatten, weshalb sich der formale Ablauf von Splattermovies teilweise sehr stark der Dramaturgie eines herkömmlichen Pornos angleicht, hat sich die Verknüpfung von harter Pornographie mit dem Horrorgenre nie so richtig beim Publikum durchsetzen können. Vielmehr sind die diversen von Joe D’Amato und Jess Franco angestellten Experimente auf diesem schlüpfrigen Terrain weitgehend folgenlos geblieben und erfreuen heutzutage bestenfalls noch Trashfans oder Sammler von filmischen Obskuritäten. Der Horror an sich hingegen ist vordergründig asexuell bzw. verfolgt in Subgenres wie Slashermovie oder Giallo die Strategie einer moralischen Läuterung.

rosso venezia 002Womit wir nun endlich bei Andreas Bethmann wären, der es sich zum Ziel gesetzt hat, die Tradition der todeserotischen Schnellschüsse von D’Amato und Franco fortzusetzen - was man schon an seinem italienischen Pseudonym A. M. Bertucci ablesen kann, doch der sleazige Geist des südeuropäischen Exploitationfilms schwebt generell als glibberig-weißes Ektoplasma über dem schmuddeligen Ejakulat, das „Rossa Venezia“ in seiner Gesamtheit bildet.

Das eigentliche Problem sind dabei allerdings weniger die wie zu erwarten abgrundtief schlechten schauspielerischen Leistungen der verpflichteten Pornodarstellerinnen (in diesem Metier hat nun mal die Körpersprache Vorrang gegenüber der Fähigkeit, irgendwelche Emotionen glaubhaft auszudrücken), die durchschaubaren technischen Effekte oder die ohne Spannungskurve aneinandergereihten Sexszenen mit oftmals tödlichem Ausgang; vielmehr liegt der eigentliche Grund für den überaus miesen Gesamteindruck des Films in der völligen Inkompatibilät seiner Bestandteile. rosso venezia 004Denn Horror funktioniert eher fetischistisch: das beginnt schon bei der oftmals verschachtelten, achronologischen und multiperspektivischen Erzählweise (die Konzeption von „Dracula“ als Briefroman, Lovecrafts verwirrte Ich-Erzähler, etc.) und setzt sich über die sexuelle Doppeldeutigkeit der diversen Schauergestalten fort, wobei man den jeweiligen Werken stets die panische Angst vor der finalen Enthüllung der sorgsam ausgebreiteten Geheimnisse anmerkt, dass gewissermaßen der Schuh dem Fuß vorgezogen wird. Wohingegen der pornographische Film als krasses Gegenstück nichts anderes zum Ziel hat als das schonungslose Offenlegen nackter Tatsachen bis hin zum intimen close-up und damit all die um den Geschlechtsakt gesponnenen Rätsel und Mythen als lächerlichen Mummenschanz entzaubert.

rosso venezia 007Darum gibt es auch in „Rossa Venzia“ trotz aller Giallo-Anleihen kein Rätsel um die Identität der Killerin, vielmehr hat man beim Ansehen den Eindruck, dass Bethmann und mit ihm der ganze Film auf eine seltsame Art und Weise gegen sich selbst ankämpft. Bereits die Prologsequenz ist in dieser Hinsicht sehr aufschlussreich: in einem alten venezianischen Haus betreibt ein Liebespaar Kontaktsport auf der Matratze, das typische lasterhafte Treiben, das für gewöhnlich sofort den irren Schlächter anlockt. Und tatsächlich endet der petit mort für die beiden eher unerfreulich – wobei die verklemmte Aufräumaktion der Killerin allerdings dadurch verdoppelt wird, dass sie einem der Opfer anschließen eine venezianische Faschingsmaske aufsetzt. Auf die Präsentation der völligen Nacktheit folgt demnach nicht nur die Zerstörung der als sündhaft klassifizierten Körper, sondern noch ein zusätzliches Verdecken des zuvor restlos Offengelegten.

rosso venezia 008Im Folgenden verschärft sich dieser innere Konflikt noch weiter. Auf der Handlungsebene tötet die Killerin fleißig eine Menge sexuell aktiver junger Frauen (in Venedig scheint es im Grunde genommen nur Prostituierte zu geben) um die Verderbnis aus der Welt zu tilgen, ihre Angriffe richten sich als überdeutliche Ersatzhandlungen gegen die erogenen Zonen (von verbrannten Brustwarzen bis zur vaginal eingeführten Bohrmaschine) – doch sind all diese Morde formal nicht psychologisch verschlüsselt, sondern werden im Rahmen von ein wenig Bondage und Lesbensex zur Pornographie gemäß der obigen Definition, d. h. Bethmann zeigt den Akt und gleichzeitig sein Erschrecken darüber, transformiert diese Angstlust ihrerseits aber wieder zur Banalität einer stumpfen Nummernrevue der Grausamkeiten. Dazu passt sehr gut, dass die ausgiebig präsentierten pornographischen Szenen im Grunde genommen unerotisch bleiben bzw. schon aufgrund der wenig abwechslungsreichen Locations eher wie technische Vorgänge wirken. Wenn man so will haben wir es mit bereits seelenlosen Körpern, mit triebgesteuerten Fickmaschinen zu tun, die durch die nicht minder automatenhaft handelnde Killerin irreparabel beschädigt werden. rosso venezia 005Wodurch „Rossa Venezia“ dann letztlich schon eine gewisse inhumane Kälte entwickelt, die durch die lachhaften Gastauftritte von Jess Franco und Lina Romay sogar noch verstärkt wird: das gnadenlose Overacting dieses durch den Tod der Tochter so erschütterten Elternpaares wirkt einstudiert, wie die gespielten Emotionen von jemandem, der sein Verhalten an den Tag legt, weil „man das eben so macht“ obwohl im eigentlich alles Hinten vorbeigeht.

Und natürlich ist Bethmann nicht gerade der beste aller Amateurfilmer, weshalb dieser Eindruck mit großer Wahrscheinlichkeit gar nicht so gewollt war – das völlige Fehlen jeglicher Menschlichkeit bzw. die seltsame Sterilität und Künstlichkeit dieser einzig auf Sex und Tod ausgerichteten Gesellschaft, die sich durch die fehlende Erfahrung mit Schauspielerführung ergibt, ergibt jedoch trotzdem ein nicht völlig reizloses Gesamtbild (und offenbart nebenbei die große Schwäche des überwiegenden Teils der Pornoproduktion, die durch ein Zuviel an hölzern dargebotener, leistungssportartiger Rammelei dem Sex jegliche Erotik austreibt).

rosso venezia 014Der eigentliche Knackpunkt des Films sind aber die unglaublich geschwollenen Monologe aus dem Off. Denn „Rossa Venezia“ soll gewissermaßen ein Einblick in das Tagebuch einer Serienkillerin sein und nähert sich damit trotz des pornographischen Inhalts wieder dem Fetischismus des Horrorgenres an. Tatsächlich sind die eingesprochenen Passagen so dermaßen kryptisch, dass man sie kaum im Gedächtnis behalten kann (sinngemäß werden beispielsweise die Kanäle Venedigs mit Acheron und Styx verglichen und auch die restliche Salbaderei schwelgt in religiös und mythologisch verbrämten Formulierungen), wodurch der Eindruck entsteht, dass Bethmann gewissermaßen wahlweise dem profanen Geschehen einen Hauch von Poesie zurückgeben wollte oder aber den Versuch unternahm, den möchtegern-intellektuellen Wortfetischismus von Jörg Kopetz durch die plakative Inszenierung bzw. die absolute Sichtbarmachung des Unausgesprochenen so lange zu dekonstruieren, bis der Inhalt ebenso nackt dasteht wie die Darstellerinnen. So gesehen ist spricht es Bände, dass Bethmann selbst einen Auftritt als in Innereien herumwühlender Gerichtsmediziner hat und in einigen Passagen Dario Argento (schwarze Handschuhe und subjektive Kamera) und Lucio Fulci (die Säureszenen aus „E tu vivrai nel terrore… L’Aldila“) zitiert.

rosso venezia 013Aber um wieder auf das Thema Kaffee zurückzukommen: bei alldem sollte man nicht vergessen, dass „Rossa Venezia“ nicht nur einfach eine letztlich an ihren inneren Widersprüchen gescheiterte Mischung aus Giallo und Porno ist, sondern eine äußerst zähe Angelegenheit. Die Laufzeit ist bei der gebotenen Inhaltsleere mit 155 Minuten (zu den Fassungen komme ich gleich) geradezu episch, allerdings ohne dass der Film irgendwie vom Fleck kommen würde. Stattdessen bremsen die Pornoszenen die Thrillerhandlung (die aufgrund der Amateurhaftigkeit sowieso ihre Tücken hat) gnadenlos aus. Andererseits verhindert die inhärente Lustfeindlichkeit der Slasherthematik, dass die Pornoszenen auf irgendeine Weise stimulierend wirken, außerdem beschränkt sich der pornographische Teil über weite Strecken auf lesbische Praktiken und verzichtet auf jegliche Hochglanzästhetik. Zwar ist eine kurze Sequenz so richtig artsy mit Negativbelichtung gefilmt, die meiste Zeit kann man aber natürliche Brüste, nicht mehr ganz so straffe Hintern und die blonde Körperbehaarung von Marianna Bertucci bewundern (keine Ahnung, ob sie mit Herrn Bethmann verwandt oder verschwägert ist, jedenfalls fungiert sie als viel zu spät auftretendes und darum farblos bleibendes Final-Girl, sieht aber trotz blonder Achselhärchen – digitale Filmtechnik offenbart eben so manches Detail – deutlich besser aus als der Rest vom Fest).

rosso venezia 011Am schlimmsten ist jedoch, dass „Rossa Venezia“ in dieser 155-Minuten-Version unter einer Montage leidet, die nie zu einem eigenen Rhythmus findet, so dass jede noch so belanglose Szene viel zu sehr in die Länge gezogen wird. Das hat übrigens sogar Bethmann selbst inzwischen eingesehen und einen etwas strafferen Director’s Cut nachgeliefert, der nur noch auf 108 Minuten kommt – ohne den jetzt auch noch extra gesichtet zu haben denke ich, dass diese kürzere Laufzeit dem Film möglicherweise nützt, denn an der Langfassung wirkt vieles einfach nur redundant und künstlich aufgebläht.

Zuletzt schien sich Bethmann sogar selbst ein wenig unschlüssig über die eigentliche Zielsetzung seines Werks gewesen sein. Weshalb er „Rossa Venezia“ auch noch als reinen Porno und als Giallo ohne Pornoszenen auf den Markt brachte. Ob eine dieser beiden Alternativ-Fassungen durch das Weglassen des jeweils inkompatiblen Teils runder wirkt, oder ob nicht doch gerade die sich durch die Mixtur von im Grunde genommen völlig konträren formalen Herangehensweisen ergebende innere Spannung den interessanteren Film ausmacht, muss wohl jeder selbst entscheiden.

rosso venezia 006Dass man aber eine gehörige Portion Wohlwollen, abseitiges Interesse und viel Geduld (vergesst den Kaffee nicht!) mitbringen sollte, habe ich an dieser Stelle nun wohl ausführlichst mitgeteilt.

(Eigentlich sogar viel zu ausführlich, aber das Internet will gefüttert sein und Kurzkritiken wie „Boah, der Film ist voll krass hart, Alter!“ überlasse ich Menschen mit Ahnung von der Materie).

Alexander

 

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