HarryNES01harry cover

EVIL ED spielt:
Dirty Harry (1990, NES)

(aka Dirty Harry – The war against Drugs)
Mindscape

 

 

 

 

Wer kennt und liebt ihn nicht, den ikonischen Copfilm von Don Siegel aus dem Jahr 1971? Clint Eastwood schaffte seinen Sprung aus dem Wilden Westen hinein in ein modernes und dynamisch gedrehtes San Francisco als Antiheld Harry Callahan, der in einem widersprüchlichen System in Verbitterung und Zynismus verfällt auf der Jagd nach einem rassistischen Serienmörder – den Cardassianer Elim Garak... ähm... Scorpio (Andrew Robinson).

Seine Magnum wurde sein Markenzeichen, wenn er aus der Hotdog-Bude heraustritt und eine Bande von Bankräubern stellt. Ehrfürchtig blicken wir in den Lauf seiner Waffe, wenn er fragt „Do you feel lucky? Well, do you, punk?“ und seine buschigen grünen Augenbrauen passend zu den grünen Haaren uns beeindrucken, bevor er von klobigen Gegnern mit Netzen beworfen wird und orientierungslos durch eine Stadt läuft... so ist es zumindest, wenn man die Filmvorlage mit dem NES-Spiel aus dem Jahr 1990 vermischt. 

Dass die meisten filmbasierten Videogames schon immer Lizenzgurken waren, muss glaube ich nicht mehr ausgerollt werden. Ich wundere mich sogar ein bisschen, dass James Angry Video Game Nerd Rolfe sich sowohl diesem Spiels, als auch dem Mad Max-Game aus dem Jahr 1991 nie angenommen hatte (vermutlich ist die Bandbreite an Spielen so groß, dass diese einfach an ihm vorbei gegangen sind). Gut für mich, so kann ich mich nämlich an diese Review setzen ohne den großen AVGN zu kopieren :)

Entwickelt wurde das Spiel von einer Firma namens Gray Matters Inc. Der Name ergibt Sinn, befanden sich unter den Programmierern zwei Herren mit dem Nachnamen Gray. Da es also kein Spiel aus der Lizenzspielschmiede LJN war, wird Rolfe es wohl einfach nicht mitbekommen haben.

HarryNES02Damit ich alles so frisch wie möglich auf das virtuelle Papier bringen kann, schreibe ich diese Review, während ich ab und zu das Spiel pausiere. 

Klar, es gab damals enorme grafische Begrenzungen, aber dass Harry im Titelscreen grüne Haare und Augenbrauen hat ist nur schwer eine Entschuldigung (wobei die Make my day-Sprachwiedergabe schön ist). Das Menü ist gewohnt simpel: Spiel starten oder Passwort für die Level 2 und 3 eingeben.

Die Passwörter sind 5 Zeichen lang, anwählen können wir sie mit einem generierten Harry Callahan, der mit seinem Revolver nach oben zielt und ein wenig wirkt wie John Travolta in Saturday Night Fever ... hey, es waren die 70er.

HarryNES03Wer sagt, dass Harry mal nicht ab und zu nach Feierabend eine heiße Sohle auf's Parkett gelegt haben könnte?

Diese Interpretation steht offen, sobald man den Spielverlauf beobachtet.

Das Spiel startet schlicht und gewöhnlich. 

Wir haben es mit einem Sidescroller zu tun und befinden uns in einem repetiven Stadtszenario, werden von Gegnern mit Molotovcocktails, Netzen, Fäusten und Pistolen angegriffen.

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Manche der Gegner sehen aus wie Johnny Bravo, andere tragen grüne Jackets. Wer sie sind und warum sie uns angreifen, spielt keine Rolle.

Es gibt keinen Storyverlauf, sondern lediglich ein Laufen von A nach B und Gegner töten. Das wäre gar nicht so schwer, würde man nicht in jede Gasse zwischen zwei Häusern abbiegen können, um sich so wieder in einem ähnlich aussehenden Szenario wiederzufinden – ein 2D-Labyrinth, bei dem die Orientierungslosigkeit die größte Herausforderung ist. Irgendwann jedoch kommt man dahinter: man latscht einfach zu einer Tür, betritt ein Hochhaus (indem man genauso durch in jeden Gang auf die nächste 2D-Ebene kommen kann), betritt ein Zimmer, zertritt Möbel (warum auch immer), sammelt Items, wechselt das Zimmer, tritt eine Schlange bewusstlos(!), zertritt noch mehr Möbel und geht wieder zurück auf die Straße.

HarryNES05Dort erwarten uns einige Gegner, diesmal in rot gekleidet, die uns wieder mit irgendeinem Müll bewerfen. Wir machen sie kalt und betreten die nächste Tür – es sieht natürlich alles genauso aus wie zuvor, ist ja klar. Mittels einer Brechstange, die Harry beim Möbelzertreten fand, können wir eine weitere Tür im Gebäude aufbrechen (muss man mit einer Brechstange machen, da Harry nur Möbel eintreten kann – aber anscheinend keine Türen). Schlange treten, Schrank zertrümmern, in den nächsten Raum wechseln und Lasern ausweichen, mit zwei Schlangen konfrontiert werden, Möbel zertrümmern und wieder zurück.

 

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In einem Flur begegnen wir einem weißgekleideten Typen, der eine Münze schnippst. Wir interagieren mit ihm und … öhm … und … tauschen mit ihm die Klamotten (!).

Von nun an läuft Harry also nicht mehr im blauen Anzug herum, sondern in einem weißen! Wie im Film (die berühmte Laserschlangenmöbelzertreter-Szene, welche in der Filmgeschichte schon so oft zitiert wurde). Wir latschen wieder durch die Flure, betreten einen Raum, killen Johnny Bravo, zerficken das Mobilar und bla bla bla … vorspulen … repeat … vorspulen … repeat …

Ich esse jetzt erstmal eine Pizza, das kann ja noch dauern hier.

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Irgendwann stehen wir in irgendeinem der eintönigen Gebäude mal vor einem hünenhaften Glatzkopf, der nix macht und finden im Nebenraum eine Blondine, die auch nix macht. Weder kann man einen von ihnen erschießen, noch zertreten. Man kann auch nicht – wie zuvor – die Kleidung mit ihnen tauschen (Harry im roten Kleid... Dirrrrrrty!).

Mir persönlich wird es jetzt zu blöd, ich rauche erstmal eine Tüte, öffne eine Dose Bier und spiele dann weiter.

In den vielen Seitenstraßen (die Häuser sind nun echt zu langweilig), klettern wir auf Leitern, töten Gegner und fühlen uns wie Super Mario – nur langsam und blöd. Wir treten mit unseren schlagbehosten Beinen Gegner ins Pixeljenseits und hören dabei immer wieder die selbe Melodie. Dass die Musik in solchen Spielen sich dauernd wiederholt ist eine Sache, aber wenn sie auch noch schlecht komponiert/synthetisiert oder was auch immer ist, schaltet man den Röhrenfernseher irgendwann lautlos und macht es wie ich... bin mal kurz mein Megadeth-Tape starten. Außerdem habe ich von der Tüte einen klebrigen Mund, weshalb ich noch ein Bier brauche.

… noch ein Bier …

Irgendwie ist es uns gelungen, Harry in die Kanalisation zu führen. 

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Wir weichen vor grünem Schleim aus, der von der Decke tropft und achten darauf von … rülps … und achten darauf keine Stromschläge von kaputten Sicherheitskästen zu bekommen (IN! DER! KANALISTATION!). Hin und wieder begegnen wir sogar ferngesteuerten Autos (aus Dirty Harry V – Das Todesspiel).

Leiter hoch, Leiter runter, links, rechts, Hebel umlegen, zurück, links, rechts, … wieder auf der Straße und nun greift uns der kahlköpfige Glatzkopf von vorhin an. In einem kurzen, wirklich kurzen, Bossfight ballern wir ihn über den Haufen (das nenne ich realistisch: ob man nun klein oder groß ist, eine Kugel ist tödlich).

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Jetzt wird es aber interessant:

Ein Bossfight mit SOLID FUCKING SNAKE, der aus einem riesigen Gewehr auf uns schießt und es uns nichts ausmacht, so lange wir mit der Magnum weiter auf ihn feuern. Es ist großartig! Da Harry nun aber angeschlagen ist, braucht er ein Power-Up: Im Inventar finden wir einen Hotdog (aus Dirty Harry 1), der seinen Lebensbalken wieder auffüllt.

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Herrlich, ich brauche noch ein Bier!

Zurück zur Straße, zurück in Häuser, zurück in die Kanalisation und wir begegnen irgendwann dem nächsten Boss: einem … verrückten Wissenschaftler? In einer Glaskuppel?

Hinter einem Computer?

Während der Wasserspiegel steigt und... Spielsachen im Wasser schwimmen?

Damit man, sobald der Wasserspiegel hoch genug ist und die Glaskuppel explodierend einen Kurzschluss bekommt, auf einem Spielzeugboot zur nächsten Röhre fahren kann, natürlich erst nachdem man einen Ball auf dem Wasser, der im Weg war, mit der stärksten Handfeuerwaffe der Welt zerschossen hat!

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Gegen Ende des Spiels sind wir in einer Art Hafen und töten mehrmals Popeye, während wir Fässern ausweichen (bitte, liebe Programmierer, lasst noch einen Gorilla auftauchen).

Boxen, schießen, Boot fahren, … Spezialeinheiten umbringen... das Spiel geht immer so weiter, bis wir eine braune Felswand herunterklettern.

Harry! Callahan! Tötet! Spezialeinheiten!

Und klettert Felswände herunter, während Steine auf ihn rollen und er einen Enterhaken benutzt als wäre er Batman!

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Bis er schließlich gegen einen grünen Riesenhelikopter im Endfight mit einer Panzerfaust den Gegner vom Himmel ballert...

Und dann irgendwann, nachdem sich die Sidescrollstages mit wegzuschießenden/schlagenden/ tretenden Gegnern immer wiederholt haben, treffen wir auf King Pin aus dem Marveluniversum, besiegen ihn wie jeden anderen Bossgegner (den wir nur drei mal treffen müssen. Ebenfalls mit der Panzerfaust) und hören das ikonische Zitat bezüglich der stärksten Handfeuerwaffe der Welt.

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GO AHEAD! THIS GAME MADE MY DAY!

Grandios. Wobei es ein paar Sachen gab, die ich bei Dirty Harry für den NES schon vermisst habe:

 - einen T-Rex

- Aliens

- Terminatoren

- Fledermäuse

- Atomfässer

- Gremlins

- eine laserstrahlenabfeuernde E-Gitarre als Waffe

- Fatalities wie in Mortal Kombat

- sich wehrende Möbel

 

Dennoch ist das Spiel geil... wenn man besoffen und bekifft ist, Thrash Metal der 80er hört und einfach mal einen bunt zusammen gewürfelten Mix aus allem spielen mag, der das Gehirn zum Schmelzen bringt und so gar nichts mit dem zu tun hat, was man mit Dirty Harry assoziiert.

Übrigens habe ich noch einige Details ausgelassen, um euch dieses abstruse Meisterwerk nicht allzu sehr kaputt zu spoilern.

Das Hirn dampft einfach aus den Ohren heraus!

 

Mario Zimmermann

 

 

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